Religiöse Praxis

Zugang zum Glauben

Während für die Canthari Glaube und die Bindung an ihren Gott etwas Persönliches ist, begreifen sich die Textorianer als Mittler zwischen den Menschen und den Göttern der Natur. Religion wird nicht als etwas Abgehobenes gesehen, das in einem Tempel oder Gotteshaus stattfindet – von wenigen Klöstern abgesehen gibt es nicht einmal Kultstätten – sondern als etwas Alltägliches. Man wandelt täglich auf Reyas Leib und atmet Eras‘ Odem: Die Götter sind keine abstrakten Entitäten, sondern die Umwelt selbst. Ein wichtiger Anspruch Malleus‘ des Webers ist auch, dass Priester nicht über den Menschen stehen. Sie sind ihre Lehrer (darum ist auch die Anrede für einen Novizen Eleve und für einen Priester Mentor), aber nicht ihre Herrscher. Als Zeichen dessen trägt ein Priester eine Corona, einen Stirnreif mit vier gleichmäßig verteilten Zacken, einer Krone nicht unähnlich, aber aus einfachen Materialien wie Schwemmholz oder Knochen. Priester dürfen nie ein politisches Amt bekleiden, noch sich mit Schmuck oder Zierat bedecken. Auch sollen sie stets darauf achten, keine Eigenschaft im Übermaß zu zeigen: Ein Priester soll weder feige noch furchtlos sein, weder schwendsüchtig noch geizig, der Liebe nicht gänzlich entsagen, es aber auch nicht wild treiben, Festen beiwohnen, sich aber nicht besinnungslos saufen, etc. Das ist der Weg der Mitte.

Testimonia

So gut wie jeder Thrimorer trägt als Zeichen seines Bekenntnisses ein Testimonium (Gelehrtensprache für „Zeugnis“, das abgelegt wird). Ein Testimonium ist ein Armband, das um die linke Hand gebunden wird. Die Farben der Fäden, aus denen es geflochten wird, zeigen dabei, welche Götter man verehrt. Am häufigsten verwendet werden die Farben Rot für Incendius, Weiß für Eras, Blau für Lyva und Braun für Reya, ein Verehrer Incendius‘ könnte sein Testimonium aber auch aus roten und gelben Fäden weben (oder weben lassen) und nichts hält einen Eras-Gläubigen davon ab, Hellblau als Farbe für seinen Gott zu wählen.

Orthodoxerweise ist ein Testimonium dabei entweder einem Gott zugeordnet (Cantharische Glaubensausrichtung) oder allen vieren (textorianische Ausrichtung), in der Praxis finden sich aber häufig Testimonia, de zwei, seltener drei Göttern gewidmet sind.

Sterben in Thrimor

Thrimors Gott der Toten ist Incendius, der zugleich auch Herr der Flammen und Gott des Krieges ist. Leib und Seele eines Verstorbenen werden ihm anvertraut: der Leib, indem man ihn auf dem Scheiterhaufen verbrennt. Damit die Seele allerdings im Totenreich angelangt, vertraut man sie einer Gestalt an, die für Sterbende und ihre Liebsten eine größere Bedeutung hat als Incendius selbst: der Mentor. In einer kurzen, aber wichtigen Passage aus Der fünfte Weg skizziert die Legende hinter dem Mentor:

Die Menschen aber ergriffen Fackeln und Keulen und machten sich die Reiche der Tiere und Elfen untertan. Die aber gefallen sind, ließen zwar wohl ihre Leiber, fanden aber keine neue Heimstatt, und so plagten die Geister der Toten die grünen Länder. Die mutigsten aller Seelen aber fanden den tosenden Feuersturm, der Iogard umgab, und schritten unverzagt hinein. Das ewige Feuer Incendius‘ brandmarkte sie, doch ihr Mut brannte noch heißer und so trotzten sie den gefräßigen Feuern und taumelten geblendet durch den glosenden Feuersturm. Viele verzagten ob der unermesslichen Qualen und machten kehrt oder fielen dem Wahnsinn anheim. Einer jedoch, dessen Wille unbeugsam war, watete unbeirrt durch das Flammenmeer der Hölle, bis er vor den ewigen Wällen Iogards stand. Und so pochte er an die Tore, Stunden und Tage, bis es den Herrn der Flammen selbst verdrießte und er an die Tore kam, um dem Störenfried zu begegnen.
Doch eh er zu Worten anheben konnte, klagte der Held, dessen Name verloren ist, dem Flammengott sein Leid und das seiner Brüder, die keine Heimstatt finden konnten. „Lass uns in deine Hallen, oh Incendius, Gott der Flammen, aufdass die wackersten aller Kriege in Vürgard mit dir tafeln, und sollten je die Daimonen Eure Schöpfung bedrohen, werden wir gemeinsam die Waffen heben und an deiner Seite, Gott der Krieger und Krieger der Götter, in die Schlacht ziehen.“
Und so geschah es, dass Incendius die Hallen Iogards für die Menschen öffnete.

Der Herold erscheint jedem Menschen, wenn er von dannen zieht, um seine Seele abzuholen. Seine Gestalt ist dabei stets die einer wichtigen Bezugsperson, die bereits den Weg nach Vürgard angetreten ist: eine Mutter, ein Lehrer, ein Vagabund, der eine wichtige Lehre erteilt hat. Der Herold ist Gegenstand zahlreicher Erzählungen und Sagen. Häufig wird er mit einer Laterne in der Hand dargestellt – weswegen er im Volksmund auch „Lampenmann“ genannt wird. In mancherlei Geschichten prüft er die Seelen auch, bevor er sie nach Iogard bringt. Eine davon ist im Buch der Wahrträume enthalten.

Manchmal wird man des Körpers eines Verstorbenen nicht habhaft. In dem Fall wird – üblicherweise von Kindern des Dorfs – eine Puppe geflochten, die dann an des Körpers statt auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, um den Herold auf die verlorene Seele aufmerksam zu machen. Auch ein Teil der Flammenweihe (siehe unten) ist allein diesen Verlorenen gewidmet.

Religion im Alltag

Ein gläubiger Thrimorer ist angehalten, viermal am Tag zu beten:

–        Das Morgengebet, optimalerweise vor dem Frühstück, wendet sich an Lyva. Während man sich wäscht, bittet man Lyva um Energie für den Tag. Hat man keine Möglichkeit sich zu waschen, sollte man zumindest etwas Wasser über den Kopf träufeln.

–        Das Tagesgebet zu Eras kann jederzeit zwischen Frühstück und Abendessen gebetet werden. Man bittet den Gott der Wege um Orientierung und Weisung.

–        Das Abendgebet zu Incendius wird über ein warmes Abendmahl gesprochen. Ein Thrimorer sollte zu Abend immer etwas über dem Feuer Zubereitetes essen. Ist dies überhaupt nicht möglich, muss ein kalter Segen reichen. Im Abendgebet bittet man Incendius, die am Tag verbrauchte Kraft wieder zurückzubekommen.

–        Wenn man die Stube zum letzten Mal vor dem Schlafengehen betritt, bittet man im Nachtgebet Reya um Schutz für die Nacht. Wie üblich bei Anrufungen an Reya drückt man sich dabei etwas Erde auf die Stirn.

Jedes Gebet ist – wie die Religion selbst – nach dem Prinzip 4+1 aufgebaut. Man spricht vier Sätze, die vier Teilen des Körpers zugeordnet sind:

–        eine Demutsbezeugung (Knie)

–        eine Bezeugung der Liebe, der Dankbarkeit oder des Respekts (Lenden)

–        einen Wunsch (Herz)

–        einen Lobpreis (Kopf)

Der Abschluss (der fünfte Teil) besteht wieder aus 4+1 Teilen: Erst berührt man der Reihe nach mit beiden Händen Knie, Lenden, Herz und Kopf, anschließend reckt man beide Arme in die Höhe und ruft „Erat!“ – „So sei es!“

Ein Gebet könnte etwa so klingen: „Ich werfe mich nieder vor dir, Lyva, denn ich liebe das Leben und deine Geschöpfe. Erwecke mich mit neuer Kraft für den Tag. Du bist das Wasser, die Liebe und das Leben. Erat!“

oder „Ich beuge mein Haupt, göttlicher Incendius, und danke dir für die Kraft, die in meinen Adern brennt. Segne dieses Abendmahl, aufdass es mich stärke für einen neuen Tag. Du bist das Feuer, die Kraft und der Wille, der mich treibt. Erat!“

Feste und Feiertage

Regelmäßige Feste

Flammenweihe

Einmal jährlich zur Sommersonnenwende wird ein Fest zu Ehren des Toten- und Kriegsgottes gefeiert. Üblicherweise segnet ein Priester an diesem Tag die Waffen aller rechtschaffenen Streiter. Zu Sonnenuntergang werden dann zwei Feuerwachen ernannt – gläubige Krieger, deren Aufgabe es ist, darauf zu achten, dass das Opferfeuer bis zum Morgen nicht erlischt.

Auf einem Scheiterhaufen wird eine häufig menschengroße Puppe – geflochten oder gewickelt von den Kindern des Dorfes – aufgebahrt oder -gestellt. Ein Priester bittet Incendius, dieses Opfer stellvertretend für all jene aufzunehmen, die nicht rechtmäßig bestattet werden konnten. Anschließend können die Gläubigen Opfer ins Feuer werfen – Kriegsbeute, persönliche Gegenstände oder dergleichen – und Holzstücke, die mit den Namen, Gesichtern oder persönlichen Dingen von Verstorbenen versehen sind, den Flammen darbieten, um für die Seele eines Angehörigen zu beten.

Reyadank

Das traditionelle Fest zu Ehren der Göttin Reya (auch Reyadank genannt) wird seit jeher im Herbst nach der Erntezeit gefeiert, um der Göttin der Erde für ihre Gaben zu danken. Die üblicherweise zweitägige Feierlichkeit umfasst eine Reihe von Traditionen, kleinen Ritualen, sowie zwei Zeremonien; eine um der schützenden Mutter für die Erträge des vergangenen Jahres zu danken, und eine um sie auch für das kommende Jahr um ihren Segen zu bitten. Doch immer langsam mit den jungen Kobolden; alles schön der Reihe nach…

Die Vorbereitungen für dieses besondere Fest umfassen unter anderem folgende gemeinschaftliche Aktivitäten:

·       das Flechten von Girlanden, Blumenkränzen und Kräutersträußchen,

·       das Dekorieren des „Festsaals“ (der je nach gesellschaftlichem Stand auch einfach nur eine Scheune oder eine Wiese sein kann), sowie des Schreins zur Huldigung Reyas,

·       das Backen der traditionellen fünfzackigen Sternenbrote (mehr dazu in der zweiten Zeremonie),

·       das Kochen des traditionellen Festmahls (bestehend aus faschiertem Braten, Erdapfelstampf und buntem Getreide),

·       die Vorbereitung des Lagerfeuers, sowie einer ausreichenden (!) Menge an Getränken.

Nach Abschluss dieser Vorbereitungen, bei denen nicht selten bereits einige der Gäste anwesend sind und den/die Gastgeber tatkräftig unterstützen, beginnt der Auftakt der ersten Zeremonie: Dem offiziellen Eintreffen der Gäste, bei dem man als Demutsbekundung der Göttin gegenüber die Kopfbedeckung abnimmt.

Danach legen alle Teilnehmer ein mitgebrachtes Kräutersträußchen am Schrein ab, während sie für sich (oder auch für alle hörbar) zum Ausdruck bringen, wofür sie im vergangenen Erntejahr dankbar sind. Im Anschluss daran nehmen alle Teilnehmer ein Körnchen Saatgut (meist Bohne, Erbse, Linse, o.ä.) aus einem Kistchen, während sie für sich (oder auch für alle) zum Ausdruch bringen, was sie sich für das kommende Erntejahr wünschen und erhoffen.

Bevor es Winter wird und alle den Gürtel enger schnallen, wird ein letztes großes Festmahl gefeiert, bei dem Reyas Gaben Huldigung erwiesen wird. Doch bevor gegessen wird, krönt der Priester (sollte keiner anwesend sein, der Dorfälteste oder eine andere verantwortungsvolle Person) die Erntejungfer und den Erntejunker mit Blumenkränzen. Diesem Erntepaar kommt eine besondere Ehrenposition an der Tafel zu; sie führen die Spiele am nächsten Tag und pflanzen während der zweiten Zeremonie gemeinsam einen Baum.

Die Wahl des Erntepaares obliegt jedoch nicht dem Priester (oder seinem Stellvertreter) selbst, sondern geht wie folgt vonstatten: Beim Eintreffen bekommt jeder Teilnehmer am Fest zwei Bändchen. Eines bindet er an die Maid, die er gerne als Erntejungfer sehen möchte, und eines an den Jüngling, der zum Erntejunker werden soll. Die Maid und der Jüngling mit jeweils den meisten erhaltenen Bändern bilden gemeinsam das Erntepaar.

Bevor gegessen wird folgen Gebete, eine Predigt sowie Segnung und Opfer der Speisen und dann endlich werden traditionell faschierter Braten, Erdapfelstampf und buntes Getreide verzehrt.

Allerdings nimmt sich niemand seine Portion selbst; als Symbol dafür, dass alle unter dem Schutz der Gemeinschaft stehen, wird einem die Mahlzeit von den Umsitzenden gereicht. Wenn jemandem der Teller gegeben wird, spricht der Gebende „Möge Reya ihre schützende Hand über dich halten.“.

Um seine Dankbarkeit anderen gegenüber zum Ausdruck zu bringen werden immer wieder Trinksprüche zum Besten gegeben; jedoch nicht nur wie üblich auf den Grafen, sondern auch auf Personen, denen man zu besonderem Dank verpflichtet ist.

Für alle, die nach dieser zuweilen ausschweifenden Feierlichkeit noch in der Lage sind (also sprich: nüchtern genug sind, um…) zu knien, folgt zu späterer Stunde wie üblich unter Anleitung des Priesters oder eines Stellvertreters das traditionelle Nachgebet, bei dem für die gesamte Festgesellschaft Reyas schützende Hand erbeten wird, und zugleich die erste Zeremonie und der erste Tag der Feier ihr Ende finden…

Am darauffolgenden Tag beginnt (sobald der Großteil der Feiernden sich wieder dazu in der Lage fühlt) die zweite Zeremonie mit dem sogenannten „Sternenzupfen“.

Traditionell werden zu Reyadank fünfzackige Sternenbrote gebacken, deren Füllungen dabei von Dorf zu Dorf, von Koch zu Koch, von Großmutter zu Großmutter variieren können. Natürlich hat jeder dabei seine eigenen Vorlieben und weiß genau, wie es „richtig“ gehört, was oft zu freundschaftlichen Diskussionen oder Gerangel führt. Die bei der Herstellung anfallenden kleinen Reste werden direkt nach dem Backen vor allem von den Kindern gerne genascht. Die eigentlichen Sterne sind allerdings dem Frühstück nach dem Festmahl vorbehalten, und werden von den Teilnehmern der Festlichkeit mit den Fingern „auseinandergezupft“. Das Spannende an dieser Tradition ist, dass in den fünfzackigen Sternenbroten drei Gegenstände eingebacken sind: eine Münze, eine Bohne, sowie ein Stück Papier. Wer eines davon in seinem Stückchen Brot findet, hat im folgenden Erntejahr entweder Reichtum (Münze), eine gute Ernte (Bohne) oder bekommt eine wichtige Nachricht (Papier).

Der Vormittag steht im Zeichen der Spiele, vor allem des Gampfball. Das Brautpaar wählt und führt je eine der beiden Mannschaften.

Das Herzstück der zweiten Zeremonie ist jedoch die sogenannte „Baumzeremonie“, das ritualisierte Pflanzen eines Baumes durch das am Vortag bestimmte Erntepaar. Wenn und solange der Baum gedeiht, ist Reya dem Dorf gnädig gestimmt. Auch hier gehören natürlich wieder einige Gebete, eine Predigt durch den Priester (oder seinen Stellvertreter) sowie symbolische Gesten der Feiernden dazu. Am Ende der Zeremonie nimmt sich jeder eines der am Vortag abgelegten Kräutersträußchen (vorzugsweise NICHT sein eigenes) mit nach Hause. Es wird zuhause neben den Herd gehängt und soll dem Haus das ganze Jahr Schutz und Segen bringen.

Neujahr

Am ersten Tag der Aussaat beginnt das neue Jahr in Thrimor. Es heißt, dass alles Glück und Unglück, das einem diesen Morgen aus fremder Hand oder der Hand der Götter widerfährt, das ganze Jahr überdauert. Wenn man etwa krank ist, so wird man das ganze Jahr über krank sein. Wenn man aber etwas von Wert findet, wird es ein Jahr des Wohlstands. Deswegen verstecken viele Thrimorer für ihre Liebsten Dinge von Wert, damit diese von ihnen gefunden werden – und umgekehrt suchen die meisten morgens gierig alles ab, in der Hoffnung, etwas Wertvolles zu finden. Thrimorer sind die letzten Tage des Jahres meist besonders freundlich – kaum ein böseres Omen, als am Neujahrsmorgen in einem Kuhfladen aufzuwachen! Gefeiert wird das Neujahr natürlich auch – aber erst am Abend des neuen Jahres, da die Aussicht auf 365 Tage Kopfweh für niemanden sehr ansprechend ist.

Mustertag

Am 21. Tag der Aussaat mustert Incendius seine Heerscharen mit Wohlgefallen. Man glaubt, dass er auch die Lebenden mustert, deswegen macht man an diesem Tag Freunden und Verwandten Geschenke, um Incendius zu gefallen.

Nunskögnar

Genau am Ende der ersten Woche der Frostnächte [OT-Information: Am 31.10.] feiern die Thrimorer einen uralten Brauch namens Nunskögnar. Die Grenze zwischen Lebenden und Toten verschwindet fast. Man verkleidet sich, entweder grässlich, um die Toten zu vertreiben, lustig, um ihnen den Schrecken zu nehmen, schön, um mit ihnen zu sprechen oder unauffällig, um ihnen zu entgehen. Die Art, Nunskögnar zu feiern, ist von Land zu Land unterschiedlich. Vor allem im Norden ist es ein äußerst wichtiger Feiertag.

Feste des Lebenszyklus

Tauche

Ein neugeborenes Kind wird alle vier Tage in ein Becken mit gesegnetem Wasser, einen Fluss, Teich oder, wenn es nicht anders geht, eine Schüssel Wasser getaucht. Das erste Mal, so der Glaube, wird der Körper von den Göttern angenommen, sodass er nach seinem Tod in die ewigen Gefilde eingehen kann. Beim zweiten Mal fährt die Seele in den Körper ein – bis dahin wird ein Neugeborenes als Ding betrachtet. Beim dritten Mal dringt der Geist in das Kleinkind ein und gibt ihm die Möglichkeit, zu denken zu lernen. Beim vierten und letzten Mal wird dem Kind ein Name gegeben, und fortan gilt es als vollwertiger Mensch und Mitglied der Gemeinschaft.

[OT-Anmerkung: Aus heutiger Sicht mag es grausam erscheinen, ein Kind bis zum 8. Tag nicht als Lebewesen anzusehen und bis zum 16. Tag nicht als Mitglied der Gemeinschaft, aber da in Thrimor trotz Heilmagie Säuglingssterblichkeit etwas ganz Gewöhnliches ist, ist das notwendig, um den Schmerz eines toten Säuglings besser zu verdauen.]

Verlobung

Die Verlobung ist ein großer Schritt im Lebens eines Thrimorers, denn es heißt, sich nur einem einzelnen Menschen voll und ganz zu verschreiben. Die Jugend ist für viele eine Zeit, in der sie Feste, Räusche und die eine oder andere Liebschaft genießen. Freilich liegt gerade auf unverheirateten Mädchen häufig das wachsame Auge ihrer Mütter und Schwestern, aber die weite Verbreitung des Liebchenkrauts – einer an Flussläufen vorkommenden Pflanze, deren Saft empfängnisverhütend wirkt – sowie der Möglichkeit, die Blase des im Niel’tus-See heimischen Fisches Condominium condominium auszukochen und sich überzustülpen (das fertige Produkt wird oft abgekürzt als Condom bezeichnet) erlaubt so manche Tändelei ohne gravierende Folgen. Ab dem Zeitpunkt der Verlobung allerdings müssen sich die beiden allerdings treu bleiben.

Ehe ein junges Paar diesen gewichtigen Schritt tun kann, muss der Mann allerdings um sein zukünftiges Weib werben. Im Zuge der Werbung versucht er dreimal, seiner Herzensdame ein Geschenk zu machen, in dem etwas Grünes vorkommt. Nimmt die Liebste das erste Geschenk an, so heißt das, dass sie seine Freundschaft akzeptiert – aber nicht mehr. Die Werbung ist zu Ende.

Lehnt sie dieses Geschenk allerdings ab, kann er ihr ein zweites antragen. Wählt sie dieses, so ist die Dame einer Liebelei nicht abgetan – einer Verlobung aber schon. Erst das dritte Geschenk, wenn es angenommen wird, zeigt ihr Einverständnis, sich den Werber zum Gemahl zu machen. Die Ungewissheit, wenn schon ein oder zwei Geschenke abgewiesen worden sind, kann für den einen oder anderen natürlich äußerst zermürbend sein.

In der Praxis ist es natürlich häufig so, dass zwei junge Liebende schon vorher von der Leidenschaft übermannt im Stroh verschwinden. Dennoch gehört es zum guten Ton, die ersten beiden Geschenke abzulehnen.

Nun muss sich der Werber aber nicht nur als gefällig, sondern auch als der Dame würdig erweisen. Im Zuge der Verlobungsfeierlichkeiten fordert er die Männer Thrimors, die sein künftiges Weib für sich begehren, auf, sie ihm im Duell abzuringen. Drei Männer dürfen, sollen und müssen gegen den Werber antreten – in jeweils einer Disziplin, die die Künftige wählt (eine letzte Möglichkeit, doch noch lenkend einzugreifen, sollte sie es sich anders überlegt haben. Die Wahl der Disziplinen kann sehr viel über das Verhältnis der beiden zueinander aussagen: Fordert sie ihn? Macht sie es ihm leicht? Wird er lächerlich gemacht? Die Grenzen sind hier sehr offen und reichen von Duellen auf Leben und Tod bis zu Sackhüpfen mit einem rohen Ei im Mund).

In aller Regel wird auf der Verlobungsfeier niemand sein, der ernsthaft versucht, seinem Freund die Angebetete abspenstig zu machen. In dem Fall ist es üblich, dass drei enge Freunde hervortreten und tunlichst dafür sorgen, dass sie gegen den Werber verlieren, um ihn als würdig zu erweisen.

Ist der künftige Gatte siegreich, gilt die Verlobung. Braut und Bräutigam schenken einander etwas Persönliches, das ihr Gegenüber immer am Körper tragen muss. Verliert er dieses Kleinod (oder wird es gestohlen!), so ist die Verlobung gelöst. Die Verlobung selbst soll so lange andauern, dass alle vier Götter Zeugen sein können, d.h. so, dass alle vier Jahreszeiten zumindest einen Tag lang angedauert haben. In dieser Zeit müssen die beiden gemeinsam eine Reise tun, bevor sie den Bund der Ehe tatsächlich schließen können.

Hochzeit

Die Hochzeit selbst ist von Paar zu Paar sehr unterschiedlich und hängt stark von ihrem Glauben ab. Rituale der Elemente und häufig auch des Shabbar-Kultes vermischen sich, da jedes Paar ihre Hochzeit persönlich gestaltet. Neben dem Priester ist häufig auch ein Beamter vor Ort, der alles Rechtliche festhält und fügt – in kleinen Dörfern macht das der Priester auch selbst.

Die meisten Paare holen sich den Segen aller vier Götter, indem sie:

–        seine linke Hand und ihre rechte Hand mit einem (häufig blauen) Tuch zusammenbinden (Eras)

–        gemeinsam barfuß über die Erde (Reya)

–        zu einem Feuerkreis gehen, durch den sie gemeinsam schreiten (Incendius, von hier auch das Sprichwort: gemeinsam durchs Feuer gehen – auch wenn das nicht exklusiv Paaren vorenthalten ist)

–        und schließlich in ein Becken oder einen Fluss steigen (Lyva).

Auch der Segen Shabbars wird häufig durch das Anzünden einer gesegneten Kerze oder gar den Segen eines Shabbar’Attas eingeholt. Weitere typische Elemente einer Hochzeit sind ein persönliches Lied, das die Freunde des Paares für die Eheleute erdichtet haben, die Übergabe von Geschenken an das Brautpaar und das gegenseitige Reichen von Brot und Met zwischen Braut und Bräutigam, was das ständige Geben und Nehmen im Bund der Ehe symbolisieren soll.

Etwas, das üblicherweise nicht das Brautpaar, sondern enge Freunde oder Familie organisieren, ist folgender Brauch, der ganz klar aus alten Zeiten kommt. Eine dem Brautpaar nahestehende Person verkleidet sich als Graf (häufig sind Masken, oder auch nur feine Kleider – er soll nur als „der Graf“ erkennbar sein) und treibt „Steuern“ unter den Gästen ein. Dies ist in der Regel ein Geldbetrag, der einen Teil der Kosten der Hochzeit decken soll. Sobald der Graf alles Geld gesammelt hat, empfängt er den Bräutigam, der ihn dann bittet, sein Weib ehelichen zu dürfen. „Der Graf“ überreicht ihm dann feierlich im Namen Thrimors die Mitgift seiner Landsleute (davon abgesehen gibt es in Thrimor schon seit Jahrhunderten keine Mitgift. Es ist auch heute üblich, dass das gesammelte Geld nicht dem Bräutigam alleine, sondern dem Brautpaar gemeinsam gehört – wie auch die Kosten der Heirat).

Der letzte Akt, der auf einer Hochzeit niemals fehlen darf, ist das „Brechen“ des Amuletts. Im Vorfeld der Eheschließung lässt sich ein Brautpaar üblicherweise ein Paar aus Amuletten fertigen, die zusammengefügt ein Ganzes ergeben. Der Priester, der die Ehe schließt, legt die beiden Amulette so zusammengelegt auf ein Pölsterchen oder Tuch. Nach der Eheschließungszeremonie „bricht“ er sie auseinander und hängt Braut und Bräutigam ihren Teil um. Dieses Amulett soll zeigen, dass die beiden, obwohl zwei verschiedene Menschen, jetzt eins sind.