Lieber Besucher,
Bevor ich mich in langen Erklärungen verliere, möchte ich dir von einer wahren Begebenheit erzählen:
Es ist Nacht geworden. Der Mond steht blutrot und riesig über dem Waldrand. Die Bäume bilden einen scharfen Kontrast: schwarz gegen den letzten hellen Schein am Horizont, über dem schon die ersten Sterne leuchten.
Du stehst auf einem kleinen, hölzernen Wachturm direkt am Tor. Neben dir zieht sich eine grob zusammengezimmerte Holzpalisade bis zum Waldrand, wo sie einen Knick macht, um am Wald entlang zu verlaufen. Du blickst auf das geschützte Lager, bestehend aus Leinenzelten, in denen deine Kameraden friedlich schlummern. Ein Rest Glut in einer Feuerschale im Zentrum erinnert an das gesellige Zusammensitzen und Essen vor wenigen Stunden.
Pflichtgetreu schweift dein Blick über das Lager. Es ist alles ruhig. So soll es sein. Du wendest dich wieder um. Dabei stößt die kalte Breitseite deines Schwerts leicht gegen dein Bein, deine Hand lehnt auf deinem Bogen. Dein Blick schweift über Hunderte von Zelten. Soldaten aus aller Herren Länder, Söldner und Glücksritter, die dem Hilferuf gefolgt sind. Mit ihnen kamen Händler, Schausteller, Spielmannsleute und viele andere, die auf schnelles Geld oder Abenteuer aus sind und nun einen buntes Kollektiv aus Zelten, Kochstellen und Sonnensegeln bilden. Kein anderes Lager hat Wachen oder gar Palisaden.
Es ist vollkommen ruhig. Ein leichter Luftzug bringt dich trotz der lauen Sommernacht zum Frösteln und du ziehst deinen Wollmantel enger um den Körper. Leises Gelächter und Musik aus der örtlichen Taverne vermischen sich mit den Geräuschen der Nacht. Alle anderen scheinen schon schlafen gegangen zu sein, aber in der Taverne gibt es immer ein paar Hartgesottene, die sich nicht um die Gefahr kümmern und bis in die Morgenstunden feiern.
Du überlegst, ob du deine Ablöse wecken sollst, als du plötzlich leises Rascheln aus dem Wald hörst, gefolgt von einem langgezogenem „AAAUUUUUUUUUUUUUUUUU“ Der Ruf scheint nicht enden zu wollen und geht dir durch Mark und Bein. Du bist in Schockstarre. Unfähig dich zu bewegen, schießen dir tausend Gedanken durch den Kopf: „Niemand wusste etwas von Werwölfen!“ „Das kann gar nicht sein!“ „Ich muss die anderen wecken!“ Unfähig zu handeln stehst du da, als es im Gebüsch neben der Palisade erneut raschelt und kracht. Etwas Großes bahnt sich seinen Weg hinaus.
„TU WAS!!!“, denkst du noch.
Endlich löst sich deine Starre. Wie automatisiert greifen deine Hände zu Bogen und Köcher, während sich deine Lungen mit Luft füllen. Dein gellender Alarmschrei reißt deine Kameraden aus dem Schlaf, während du die Bogensehne zum Mundwinkel ziehst, ins Dunkel visierst und loslässt …
Willkommen auf einem LARP!
LARP steht für Live-Action-Role-Playing. Wir betreiben Rollenspiel, sozusagen Theater, nur ohne Publikum und ohne Drehbuch. Du spielst einen fiktiven Charakter, der bestimmte Fähigkeiten hat, manches sehr gerne hat und manches sehr gerne tut. Aber genauso gibt es Sachen, die er nicht kann, Sachen, die er gar nicht mag und manches, das er auf den Tod nicht ausstehen kann oder fürchtet.
Auf solch einem LARP werden du und dein Charakter mit solchen Situationen konfrontiert (z.B.: Gespräche mit Mitspielern, Quests, Abenteuer und Schlachten). Nun ist es an dir, deinem Charakter und seinen Fähigkeiten entsprechend zu reagieren.
Um das Ganze plastischer zu gestalten, schlüpfen wir in Kostüme, gehen dazu an passende Orte und versuchen möglichst in das Spiel einzutauchen bzw. darin aufzugehen. Natürlich wird aber immer auch auf die Sicherheit der Spieler geachtet. Anstatt mit Stahlschwertern ficht man zum Beispiel mit speziellen Polsterwaffen.
Desto besser das Rollenspiel, die Interaktion mit anderen Mitspielern und der Umgebung ist, desto höher ist die Immersion.
LARPs gibt es in verschiedenen Genres. Die meisten (auch wir) spielen im Genre Fantasy. Darüber hinaus gibt es noch Vampire-, Endzeit-, SciFi-LARPs und viele mehr.
Kleinere Veranstaltungen beginnen bei 5-10 Leuten im Freundeskreis und dauern nur einen Abend. Wenn wir die Veranstalter sind, dann spielen sie immer in der fiktiven Welt Thrimor. Die größten Veranstaltungen im deutschsprachigen Raum sind das „Drachenfest“ und „Conquest of Mythodea“, das letztes Jahr etwa 12.000 Teilnehmer hatte und fast eine Woche dauerte. Dazwischen gibt es alle Größen und Variationen, also etwas für fast jeden Geschmack
Es gibt zahlreiche Aspekte, die LARP als Hobby attraktiv machen:
Die Gemeinschaft: LARP funktioniert nur, wenn man miteinander spielt. Auch wenn es verschiedene Seiten gibt (Gut & Böse), interagierst du auch mit deinen Gegnern. Das macht nur Spaß, wenn alle miteinander spielen. Mir ist auf einem LARP noch nie jemand begegnet, mit dem ich nicht ausgekommen wäre. Ich rede hier nicht von seinem Charakter (Da gibt es mehrere, die mein Charakter nicht leiden kann!), sondern von dem Spieler hinter dem Charakter. Dadurch bilden sich Freundschaften mit Leuten aus anderen Städten, Regionen und Ländern, die man sonst nie getroffen hätte.
Die Immersion: Die Illusion anderer Welten, detailreiche Kostüme, fantastische Wesen, beeindruckende Lager und Bauten. Filme, Theater, Bücher, ja sogar die eigene Fantasie verblasst manchmal gegen die überwältigenden Eindrücke, die man sammelt, wenn man mittendrin steckt und in diese Welt eintaucht.
Das Spiel mit der Gesellschaft: Ich bin sicher, du bist ein toller, liebenswürdiger sympathischer Mensch, der von allen Freunden geschätzt wird. Aber du wolltest schon immer mal wissen, wie die Umwelt auf dich reagiert, wenn du plötzlich ganz andere Charakterzüge hast? Zum Beispiel ein charmanter Händler, den alle mögen, der aber im Hintergrund Intrigen spinnt? Probiere es aus! Du kannst auch andere Rassen, Kulturen und Religionen spielen. Egal ob Bauer, Handwerker, Magier oder Adeliger. Grenzen werden hier fast nur durch deine eigene Fantasie gesetzt.
Feiern, zubern, essen, trinken, Geschichten erzählen und hören, Heldentaten vollbringen, Schlachten schlagen, Lieder singen, lieben und leben. Aber genauso hassen, trauern, scheitern, verlieren, abgewiesen werden, verwundet werden (natürlich nur gespielt) und manchmal sogar selbst sterben (auch das nur gespielt!) gehören dazu. Viele dieser Erfahrungen kann man nur auf einem LARP vorurteilsfrei und ohne reale Konsequenzen erleben.
Es gibt hier noch unzählige anderer Aspekte, die das Hobby LARP so lobens-, liebens- und lebenswert machen. Nicht umsonst gibt es mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen zu diesem Thema und auch in vielen Ausbildungen (z.B.: Lehrer, Verkäufer, Ärzte, Pfleger, …) sind kleine Rollenspiele nicht wegzudenken. In Dänemark gibt es gar eine Schule, die ihren gesamten Unterrichtsstoff ausschließlich mittels LARP vermittelt.
Man kann LARP von vielen Seiten beleuchten, sich informieren, Geschichten erzählen lassen und auch Wikipedia hat einen guten, wenn auch sehr sachlichen Artikel. Es gibt auch ein eigenes LARP-Wiki mit einer sehr guten Beschreibung. Aber es live zu erleben ist unvergleichlich! Habe ich euer Interesse geweckt? Dann meldet euch und probiert es aus! Ich hoffe wir lernen uns bald kennen und wer weiß, vielleicht stehen wir dann gemeinsam Wache …